Zeitschichten und Umgestaltungen im Chorraum
Der Chorraum und die Kapellen, wie sie sich heute den Besuchenden des Freiburger Münsters präsentieren, spiegeln einen ständigen Wandel in Gestaltung und Ausstattung, wofür liturgische oder kirchenpolitische, aber auch geschmackliche Gründe verantwortlich sind. Manches mag dabei verwirrend erscheinen: Einige Altäre haben zwar in ihre ursprüngliche Kapelle zurückgefunden, sind aber an einer anderen Wand gelandet, weil die andere schon besetzt war (z.B. in der Schnewlin-Kapelle). Die vier Standbilder der Bischöfe (in der Lichtenfels-Krozingen-Kapelle, in der Südlichen Kaiserkapelle, in der Suter- und in der Locherer-Kapelle) mögen schon manchen erstaunt haben, stehen sie doch in keime Zusammenhang mit den Stifterfamilien und befinden sich ihre Gräber im nördlichen Seitenschiff. Erst nach Kritik von Kirchenbesuchenden in der 1930er Jahren wurden sie im Kirchenraum entfernt und n den Chorkapellen aufgestellt. Ihnen ist zu wünschen, dass sie einen besseren Standort in einem musealen Kontext finden werden.
Doch soll hier ein kurzer Einblick in einige grundlegende Veränderungen im Wandel der Zeiten gegeben werden: Der Bau der Freiburger Choranlage begann 1354 und dauerte fast zweihundert Jahre, bis 1536. Die unterschiedlichen Bauphasen sind an den Außenwänden sichtbar. Es ist eine Art “Baunaht”, eine farbliche Unterscheidung zwischen dem dunkelrot-bräunlichen Sandstein aus dem 14. Jhd. und dem helleren Stein aus dem 15./16. Jhd., erkennbar. Die Bauentwicklung spiegelt sich zudem in verschiedenen Steinmetzzeichen und Steinbearbeitungen wider. Seit der Entstehungszeit gibt es aber vor allem große Veränderungen in der Ausstattung und Innendekoration der Chorkapellen.
Frühe Umbauten (bis 1545)
Unter dem Baumeister Johannes von Gmünd (um 1359) wurde der spätromanische Chor abgerissen und ein größerer Chorumgang erbaut, wobei lediglich die Blumeneck-Kapelle fertiggestellt wurde. Nach 1471 wurden unter dem Baumeister Hans Niesenberger aus Graz die Arbeiten am Chor abgeschlossen.
Nach Vollendung der Stürtzel- und der Universitätskapelle wurde 1507 die Ostwand der romanischen Nikolauskapelle als Verbindung zum Kirchenschiff durchbrochen. 1512 folgte der Durchbruch der Ostwand in der gegenüberliegenden Magdalenenkapelle.
Wände und Wandfarbe
Hinter den Beichtstühlen und Epitaphe hat man bei Restaurierungen Überreste von Farbschichten gefunden. Die unterste Farbschicht aus der ersten Hälfte des 16. Jhd. war ein hellroter Sandsteinton mit regelmäßig aufgemalten weißen Fugen. Die zweite Bemalung unterscheidet sich durch dunklere Fugen. Von 1792 bis 1794 tünchte man den gesamten Kircheninnenraum samt Teilen der Inneneinrichtung hellgrau-grünlich. In einigen Kapellen fanden sich weitere Farbschichten. Ab 1865 wurden die Anstriche in einem 15 Jahre dauernden Prozess abgewaschen und abgeschlagen. 1955 wurden die historisierenden Bemalungen der Gewölbe aus den Jahren 1866 und 1885 entfernt.
Altäre
1545 sind neun Altäre verzeichnet, von denen der Schnewlin-Altar, der Schutzmantel-Altar und vermutlich der Nothelfer-Altar noch erhalten sind. Zu Beginn des 18. Jhd. kam es im Freiburger Münster zu einer “Barockisierung” unter dem Ratsherrn und Münsterpfleger Johann Christoph Rieher. Er gab neun barocke Altäre in Auftrag, die allerdings ab 1819 wieder versetzt, entfernt oder verkauft wurden. Die “Barockisierung” der Chorkapellen begann erst in der zweiten Hälfte des 18. Jhd., als ihre Ausstattung durch barocke Dekorationen und Werke ergänzt wurde. Lediglich einige wenige Relikte wie eine geschnitzte Pietà, das Altarbild des Magdalenen-Altars und das Tafelbild der Abgestorbenen Seelen sind davon übrig geblieben.
Ende des 18. Jhd. wandelte sich das Innere des Münsters erneut. Nach der Gründung des Erzbistums 1821 musste dann ein Großteil der Werke der Renaissance und des Barocks neugotischen Ausstellungsstücken weichen. Das Ziel war eine gotische Stileinheit, wofür auch neue Altäre angefertigt wurden. Von fünf Altären aus der Werkstatt von Franz Xaver Marmon (1832-1878) fanden drei sofort Platz in den Chorkapellen, die anderen wurden erst in den ab den 1990er Jahren in den Kapellenkranz versetzt. Neben anderen Werken der Marmon-Werkstatt ist auch der Altar der “Heiligen Ordensstifter” (Suter-Kapelle) Mitte des 20. Jhd. zerstört worden.
1918 wurde vom Freiburger Bildhauer Joseph Dettlinger ein neugotischer Altar für die Heimhofer-Kapelle erbaut, der einige spätgotische Bildwerke enthält, die aus Heinstetten bei Meßkirch stammen.
Sonstige Einrichtungsgegenstände (Gemälde, Epitaphien und Beichtstühle)
In den Chorkapellen und im Chorumgang befinden sich zahlreiche weitere Gemälde und Epitaphe, die Anfang des 19. Jhd. entfernt und erst 1912 nach Restaurierungen (Maler Hermann Eder) zurückgebracht wurden.
Die vier Barock-Beichtstühle in der Villinger/Böcklin-, Suter-, Locherer- und Blumeneck-Kapelle stammen aus der Mitte des 18. Jhd. und kamen aus der Kirche des ehemaligen Freiburger Kapuzinerklosters in den Chorraum.
Der barocke Taufstein nach einem Entwurf von Johann Christian Wentzinger steht seit 1819 in der Stürtzel-Kapelle, befand sich davor jedoch im Langhaus.
Gräber und Grabmonumente
Nachdem 1748 Kaiser Joseph II. Beisetzungen in Kirchen verboten hatte, verschwanden die zahlreichen Grabplatten und Epitaphe aus dem Münster. Im Chorkapellenkranz durften sie zunächst bleiben, allerdings begann man gegen Ende des 18. Jhd. dann auch dort in den Chorkapellen, viele der Epitaphe und Gedenktafeln zu beseitigen. Von den einst 18 Epitaphien in der Universitätskapelle sind z. B. nur noch neun erhalten. Anfang des 20. Jhd. entfernte man weitere Grabplatten, um sie vor Abnutzung und Beschädigung zu schützen. Im Nord- und Ostbereich des Chorkapellenkranzes ist ein Großteil der Platten noch erhalten. Im 20. Jhd. kamen hier allerdings neue Grabdenkmäler hinzu, beispielsweise für den 1915 verstorbenen Oberbürgermeister Dr. Otto Winterer. 1936 wurden auf vier große Bischofsstandbilder aus dem nördlichen Seitenschiff entfernt, da man ihre Aufstellung im Langhaus in Größe und Pose als unpassend empfand. Sie wurden in verschiedene Chorkapellen versetzt.
Veränderungen ab dem Zweiten Weltkrieg
Aus Angst vor Kriegsschäden wurde schon vor der Bombardierung Freiburgs ein Großteil der Kunstwerke aus den Chorkapellen ausgelagert. So wurden bereits 1939 das spätromanische Böcklinkreuz nach Bettmaringen und die beiden Tafeln des Oberried-Altars von Hans Holbein d. J. in das Erzbischöfliche Ordinariat verbracht. Die Gemälde kamen erst im Jahr 1947 wieder in die Universitätskapelle zurück.
Manche der Altäre wurden in ihre Einzelteile zerlegt und an unterschiedliche Standorte geschickt, wie z. B. der Mariae-Verkündigungs-Altar aus der Lichtenfels-Krozingen-Kapelle und Teile des Schnewlin- und des Schutzmantel-Altars. Die Rückführungen nutzte man für eine “Modernisierung”. Beispielsweise erhielt der Schnewlin-Altar, den man 1956 wieder in der nördlichen Kaiserkapelle aufstellte, einen neuen Unterbau aus der Werkstatt von Paul Hübner.
1964 reduzierte man die Anzahl der in den Chorkapellen aufgestellten Beichtstühle. Die vier barocken Exemplare wurden funktional umgestaltet. Seit 1995 werden die Chorkapellen und ihre Ausstattung unter der Leitung des Erzbischöflichen Bauamtes nacheinander restauriert.
Im Zuge der Neugestaltung des Altarraumes im Hochchor zwischen 2006 und 2009, nach einem Entwurf des Künstlers Franz Gutmann, wurde das Böcklinkreuz zum zentralen Blickfang im neuen Chorraum. An die Stelle des Kreuzes in der Villinger/Böcklin-Kapelle rückte der Annenaltar, der zuvor seitlich des Hochchors am Vierungspfeiler aufgestellt war. Die Umgestaltung wirkte sich auch auf die Standorte weiterer Altäre und Kunstwerke aus: Der Schnewlin-Altar kam aus der Nördlichen Kaiserkapelle zurück in die Schnewlin-Kapelle, für die er ursprünglich gestiftet worden war. Der neugotische Marienaltar wanderte aus dem südlichen Seitenschiff an die freigewordene Wand in der Nördlichen Kaiserkapelle. Infolgedessen erhielt der Dreikönigsaltar seinen neuen Standort im südlichen Seitenschiff.